Mathematik hat in der Bildung einen hohen Stellenwert. Als in der Vergangenheit den Gefühlen kaum Beachtung geschenkt wurde, glaubte man wohl, rationales Denken und rationale Entscheidungen seien entscheidend für ein erfolgreiches Leben.
Wissenschaftlich ist inzwischen bewiesen, dass bei jeder Entscheidung Verstand und Gefühl in einer komplexen Wechselwirkung stehen. Viele Beispiele sprechen dafür, dass die Lust, die Gefühle, die Emotionen bei Entscheidungen häufig den Ausschlag geben. Wir essen zu viel von Lebensmitteln, von denen wir wissen, dass sie ungesund sind. Wir lassen uns von der Werbung zu Markenprodukten verleiten, obwohl der Markenname kein Ausweis für gute Qualität ist. Obschon wir uns der Problematik der Wegwerfgesellschaft bewusst sind, kaufen wir in kurzen Abständen neue Kleider, weil die neuen im Trend sind. Wir wohnen nicht dort, wo die Steuern am günstigsten sind, sondern in einer Wohnlage mit begeisterndem Ausblick. Wir entscheiden uns nicht für einen Beruf, der das sicherste Einkommen garantiert, sondern für die Arbeit, die uns am meisten Spass macht.
Vor allem die Experimente und Falluntersuchungen des kalifornischen Neurologen Antonio Damasio zeigten, dass Emotionen nicht nur irrelevante oder gar störende Nebenerscheinungen des menschlichen Handelns und Denkens sind, sondern deren massgebende Triebkräfte. Patienten, bei denen die emotionalen Zentren des Gehirns gestört sind, können schlicht nicht mehr entscheiden. Sie sind lebensunfähig.
Von der ganzen Vielfalt der Emotionen sind es ein paar wenige, die das Leben der Menschheit, nach den aktuellen Wertmassstäben, negativ beeinflussen.
Die Lust dazuzugehören
Aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, gehört zu den schlimmsten menschlichen Erlebnissen. Einer Dorfgemeinschaft, einem Verein anzugehören oder als Fan eines Künstlers, eines Sportlers oder eines Sportvereins fühlen wir uns gut in der Gemeinschaft verankert und setzen alles daran, dieses Wohlbefinden zu erhalten. Entsprechend fällt es uns schwer, gegen eine Mehrheit die Stimme zu erheben und unsere gegenteilige Überzeugung zu vertreten. Unsere Emotionen verführen uns dazu, im Pool der Mehrheit, wo wir uns sicher fühlen, mitzuschwimmen.
Die Lust auf Anerkennung
Die Lust auf Anerkennung ist der Lebensmotor schlechthin. Sportler, Musiker, Schauspieler streben mit voller Lebensenergie an, besser als andere zu sein, damit der Applaus zu den eigenen Gunsten ausfällt. Nicht um den Applaus geht es bei Politikern. Sie sind auf die Akzeptanz und Anerkennung von Bürgern, insbesondere bei den Wahlen, angewiesen. In Demokratien können Regierende keine Massnahmen treffen, die das eingespielte Leben der Bürger spürbar verändert, so wie es die aktuelle Umweltsituation erfordern würde. Jede unfreiwillige Veränderung der Lebenssituation ruft Ängste hervor. Veränderungen lassen sich deshalb nur in kleinen Schritten und meist nur mit abschwächenden Kompromissen vollziehen.
Die Lust auf Machtausübung
Das Machtergreifen und die „Unterdrückung“ von Menschen zugunsten persönlicher Vorteil ist in Menschen stark verankert. Die Geschichtsbücher sind voll von Rittern, Königen, Kaisern und Eroberern, die ihre Lust auf Machtausübung auslebten und über Länder und Völker herrschten, teilweise mit verheerenden Folgen. Ihre Schutzversprechen dienten eher dazu, das Hoheitsgebiet zu verteidigen, als die Bevölkerung vor Raubzügen zu bewahren. Machtausübung hat nie zu Fortschritten geführt und ist, das lässt sich auch heute noch feststellen, nie von langer Dauer. Vielfach bringen die Nachfolger nicht die gleichen, emotionalen Stärken mit und gelangen in Bedrängnis. Machtausübung ist vor allem deshalb problematisch, weil jegliche Einschränkung und Einflussnahme auf das individuelle Handeln eines Menschen, heftige emotionale Reaktionen auslöst.
Die Lust Neues zu entdecken - Neugier
Die Lust Neues zu entdecken beginnt im Kleinkinderalter und findet bei der Lust auf neue Konsumgüter seinen Fortgang. Letztendlich zeigt sich die Entdeckungslust im unglaublichem Ausmass der heutigen Forschung und Entwicklungen. Nicht zu vergessen der Entdeckungsdrang der früheren Seefahrt. Dieser findet heute in der Weltraumforschung seinen Fortgang.
Ist die unendliche Vielfalt an Industriegütern und dass sich eine grosse Anzahl von Menschen daran erfreuen können, als sozialer Wohlstand zu sehen, hat die technologische Entwicklung der Menschheit zwar einen Nutzen gebracht. Gleichzeitig ist sie für die Verschmutzung der Meere, die Umweltbelastungen und den Raubbau an der Natur sowie dem sozialen Ungleichgewicht verantwortlich. Gegenwärtig steht dem weiteren Anwachsen dieser Lustbefriedigung in allen technologischen Bereichen nichts im Wege. Weltraumtourismus und Babys ab Katalog sind Beispiele zukünftiger Forschungsergebnisse.
Lust auf Anerkennung, Machtausübung, Neues zu entdecken usw. wird nicht gelernt. Der zu beobachtende kindliche Entdeckungsdrang beweist, dass die Emotionen in die Wiege gelegt werden. Das lässt den Schluss zu, dass die gegenwärtigen, globalen, klimatischen und sozialen Entgleisungen nicht allein rationalen Entscheidungen anzulasten sind. Es sind keine rationalen Antriebskräfte für die Entwicklung der vergangenen fünfzig Jahre erkennbar. Keine Politiker, Wirtschaftskapitäne oder gar dämonische Kräfte haben mit sachlichen Entscheidungen diesen Zustand herbeigeführt. Die Weltgeschehnisse kamen durch das Zusammenspiel komplexer, sachlicher Abwägungen und Emotionen zustande. Das ist vor allem auch deshalb der Fall, weil die Leader des Weltgeschehens mit dem gleichen Baukasten an Emotionen zur Welt kommen und in der gleichen Art und Weise handeln wie die grosse Mehrheit der Menschen. Der Wissenschafter Paul Ekman konnte anfangs der 1970er Jahre nachweisen, dass es sich bei den Basisemotionen um Universalien handelt, die bei allen Menschen anzutreffen sind.
Mit dem Klimawandel steht möglicherweise die Weiterexistenz unserer Kultur auf dem Spiel. Die Emotionen haben die Menschen zu fahrlässigen Handlungen verleitet. Seit Jahren laufen Bemühungen, die Gefahr abzuwenden. Noch immer sind keine erfolgversprechende Massnahmen um Schutz der Meere und der Natur im Gang. Die Bevölkerung wird mit Versprechen bei Laune gehalten, neue Technologien würden innerhalb der nächsten zwanzig bis vierzig Jahren die Probleme lösen, wohl wissend, dass das Wirtschaftswachstum und neue Technologien fortlaufend neue Probleme schaffen. Das klingt nach Kapitulation, vor dem, was die Menschheit angerichtet hat.
Bis Mitte des letzten Jahrhunderts war das Verarbeiten eigener Emotionen, und das sich daraus ergebende Verhalten, der elterlichen Erziehung überlassen. Die dabei angewendeten „Züchtungsmethoden“, wie Schläge und andere körperliche und seelischen Strafen, waren wenig hilfreich und gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Heute ist bekannt, dass das Empfinden und die Wirkung der Emotionen viel zu komplex sind, als dass sie dem Elternhaus überlassen werden könnten. Selbst die Wissenschaft muss heute eingestehen, dass sie noch lange und intensiv daran arbeiten muss, die Zusammenhänge zu verstehen und eine Wegleitungen zum Wohle der Menschheit abzuleiten. Dieses Fachgebiet, die emotionale Intelligenz, ist für das Überleben der Menschheit von sehr viel grösserer Bedeutung als künstliche Intelligenz, die menschliche Emotionen ausser Acht lässt. Wir werden nur eine grüne und soziale Zukunft erleben können, wenn das Empfinden der Menschen und der sachdienliche Umgang damit in den Grundschulen mindestens den gleichen Stellenwert einnimmt, wie gegenwärtig die rationalen Fächer.