Als in den 80er-Jahren neben den öffentlich-rechtlichen Sendern auch private zugelassen wurden, gaben die knappen analogen Frequenzen den Anstoss, das heutige „Digital Audio Broadcasting“ (DAB), als Radio der Zukunft, aus der Taufe zu heben. Das Projekt hat sich in den vergangen vierzig Jahren nur schleppend entwickelt. Das Hauptargument, die verbesserte Audioqualität, vermochte nicht zu überzeugen.
Nichtsdestotrotz schuf der Bundesrat in den letzten Jahren die rechtlichen Grundlagen für den Umstieg von der analogen UKW-Technologie zu DAB+ und im Einklang mit der „Digitale Migration Arbeitsgruppe“ entschied das BAKOM, im August 2022 die SRG UKW-Sender und im Januar 2023 die privaten Radiostationen abzuschalten.
Das hat Folgen. Die Mehrheit deutscher Automobilisten, die in der Schweiz unterwegs sind, werden mit ihren UKW-Empfängern weder Musik noch Verkehrsmeldungen empfangen können. Die einen werden sich ärgern und der Schweiz Unfähigkeit vorwerfen, die anderen werden auf Internetradio ausweichen. Mobile-Anbieter wird’s freuen. Steigender Datenverkehr spült Geld in ihre Kassen und dem G5 Ausbau, mit zukünftigen Musik und Informationsangeboten die in Konkurrenz zu DAB+ stehen, wird Auftrieb verliehen.
Die überstürzte Umstellung ist darin begründet, dass die Bereitstellung der erforderlichen Infrastrukturen weit fortgeschritten ist und ein Parallelbetrieb von DAB+ und UKW teuer zu stehen kommt. In Deutschland ist für die Abschaltung der UKW-Sender noch kein Datum festgelegt. Nach Meinung von Experten wird das nicht vor 2030 der Fall sein.
Als Vorteile von DAB+ wird der erstklassige Sound, das grössere Programmangebot und die textlichen und bildlichen Zusatzinformationen genannt. Für keines dieser Argumente besteht ein reales Bedürfnis. Ob sich DAB+ im Markt etablieren wird, hängt nicht von diesen Merkmalen ab, sondern von alternativen Angeboten. Während das „Radio der Zukunft“ entwickelt wurde, entstanden im Internet neue, individuell bedienbare Angebote wie: Internetradio, Podcasts, Mediatheken und Streaming. Wer sich beim DAB+ von den angebotenen Programmen zu stark eingeschränkt sieht, wählt im Internet seinen Vorzugssender und installiert die entsprechende Streaming-App. Fast die Hälfte der Jugendlichen ab 14 Jahren hört Radio über das Internet, ein viertel sogar täglich.
Auf DAB+ gibt es in der Schweiz 39 neue, öffentlich rechtliche Radioangebote, die sich auf die Sprachregionen verteilen. Pro Sprachregion kann eines von zehn Radioprogrammen gewählt werden, Radioprogramme die vor allem auf Musik ausgerichtet sind. Mehr Vielfalt heisst hier mehr musikalische Stilrichtungen anstelle von Journalismus. Das Internet ermöglicht individuelleres Hören und läuft dem klassischen Radio damit den Rang ab. Audioplattformen wie Spotify kreieren je nach Musikgeschmack automatisierte Playlists, Podcasts decken jede noch so spezielle Nische ab. Ob alle neuen Radiosender mit ihrem Musikprogramm das nötige Stammpublikum finden werden, ist ungewiss.
Immer mehr Haushaltsgeräte werden mit Smartphones, teilweise mit Sprachbefehlen, bedient. Dort würden auch die DAB+ Zusatzinformationen eher Beachtung finden als beim Radioempfänger, der irgendwo in einer Ecke steht.
Obwohl erste Smartphones mit eingebautem DAB+ Empfänger schon 2016 auf dem Markt erschienen, haben diese Produkte keine Verbreitung gefunden. Die Mobile-Wirtschaft hat naturgemäss kein Interesse ihre Konkurrenz zu fördern.
Viele Autofahrer:innen nutzen die Verkehrsinformationen aus dem Radio, ergänzt mit aktuellen Staumeldungen auf ihrem Navigationsgerät. Die Daten wurden bisher über UKW auf dem sogenannten «Traffic Message Channel» (TMC) übertragen, die mit der Umstellung auf DAB+ durch die Nachfolgetechnologie „Transport Protocol Experts Group“ TPEG abgelöst wird. Derzeit gibt es allerdings nur sehr wenige Navigationssysteme mit eingebautem DAB+-Radioempfang. Immerhin müssen nach einer aktuellen EU-Verordnung alle neuen Fahrzeuge mit DAB+ ausgerüstet sein. Ältere Fahrzeuge lassen sich, bei wesentlich schlechterer Bedienung als das vorhandene Gerät, mit einem Bausatz nachrüsten.
Bei Katastrophen wurde die Bevölkerung bisher per UKW Radio informiert. Die technische Möglichkeit beim DAB+ einen Einschaltbefehl zu verschicken, könnte für den Bevölkerungsschutz ein Fortschritt bedeuten. Viele Haushaltungen der jungen Generation werden jedoch ihre elektronische Ausrüstung kaum, allein für den Katastrophenschutz, mit einem zusätzlichen, Fr. 150.- teuren Radio ergänzen. Smartphones um Bank-, Post-, Einkaufsgeschäfte zu erledigen, sind indes in jedem Haushalt unabdingbar. Eine verlässliche Alarmierung wird sich zukünftig daher eher auf der Internetplattform etablieren.
Bei der Inbetriebnahme von DAB+ ist, gemäss Bedienungsanleitung, die richtige Platzierung des Geräts wichtig, um einen möglichst guten Empfang zu gewährleisten. Vorzugsweise soll das Gerät in der Nähe eines Fensters aufgestellt werden. Der Empfang mit einer Stabantenne ist deutlich besser als mit einer Wurfantenne. Ist das Gerät mit einer Wurfantenne ausgestattet, ist diese senkrecht nach oben an der Wand zu fixieren. Daraus lässt sich schliessen, dass im Gebäudeinnern und im Untergeschoss, also in den Garagen und Bastelräumen, kein Empfang möglich ist. Nachteilig ist auch, dass die Radioempfänger, im Gegensatz zu den Sendern, einen höheren Stromverbrauch haben, was sich nicht nur auf die Betriebskosten, sondern auch auf die Spieldauer der Batteriegeräte auswirkt.
In Deutschland sind von den 150 Millionen Radiogeräten 20 Millionen mit DAB+ ausgerüstet. 130 Millionen funktionstüchtige Geräte müssen noch entsorgt und durch neue ersetzt werden. Zusätzlich muss eine vergleichbare Anzahl von Autoausrüstungen umgebaut werden. Vergleichbare Zahlen für die Schweiz fehlen. Der Einwohnerzahl entsprechend werden es zehn Millionen sein, die in kürzester Zeit, als Folge der Bundesrat Entscheidung, verschrottet werden sollen. Das müsste nicht sein. Die Umstellung hätte über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden können. Angefangen in Regionen wo das Abschalten geringfügige Auswirkungen hat. In Regionen hingegen, wo noch viele Leute UKW hören, könnten die Sender länger im Betrieb belassen werden. Alte Radioempfänger würden dadurch in einem natürlichen Ablöseprozess ersetzt.
Das niedersächsische Landesparlament hat sich einstimmig gegen eine weitere öffentliche Finanzierung des Übertragungs-Standards DAB+ ausgesprochen. Die Technik habe sich nicht nachhaltig etablieren können. Diese Meinung vertritt auch Radiopionier Roger Schawinski. DAB+ sei eine „alte Zwischentechnologie“, die Zukunft heisse 5G. Mit dieser Meinung ist Roger Schawinski nicht allein. Er hat angekündigt, gegen die UKW-Abschaltung juristisch vorzugehen.
Was der Bundesrat daraus lernen kann: Der Markt hat seine eigenen Gesetze. Ein Entscheid grosse Veränderungen kurzfristig zu vollstrecken, birgt die Gefahr, dass der Markt nicht mitspielt, seine eigenen Wege geht und das Vorhaben zum Flop wird. Schritt für Schritt der Marktentwicklung folgen, würde dem Bundesrat mehr Zustimmung bescheren. Das gilt auch bei der Anzahl von Radioprogrammen. Ein umsichtiger Manager würde mit zehn anstelle von 39 Angeboten beginnen und bei sich einstellendem Erfolg weiter ausbauen.