Viele Handelsunternehmen haben sich in den letzten Jahren aus logistischen oder finanziellen Gründen aus den Innenstädten verabschiedet. Dazu gehören Lebensmittelmärkte, Möbelgeschäfte, Baumärkte mit Gartencenter,
Elektrogeräte-, Sportgeschäfte und auch der Automobilhandel. In Städten ohne Tourismus sind Mode-, Schmuck- und Optikergeschäfte und solche der Mobilkommunikation zurück geblieben. Innenstädte haben ihre Bedeutung als massgebender Treffpunkt für den Handel eingebüsst und mit den immer häufiger leer stehenden Geschäften geht der Reiz für's Einkaufsbummeln endgültig verloren. Genau gegenteilig entwickelt sich der Onlinehandel. Alltagsgegenstände finden sich im Onlinehandel schneller und in einer grösseren Auswahl. Die Preise sind meist attraktiver, Erfahrungswerte anderer Käufer erleichtern die Auswahl, die Produkte werden innert weniger Tage ins Haus geliefert und wenn die Ware nicht das hält, was erwartet wurde, ist sie schnell, mit den beigelegten Rücksende-Dokumenten, zur nächsten Post gebracht. Damit nicht genug der Vorteile. Onlineshops der Modebranche haben erkannt, dass mit dem Anregen von Emotionen die Lust zum Kauf und damit zur Umsatzsteigerung unglaublich gesteigert werden kann. Beispielsweise verzeichnet der 2008 gegründete, chinesische Mode-Shop SHEIN im Jahre 2020 einen geschätzten Umsatz von zehn Milliarden US-Dollar, bei einem jährlichen Wachstum von 100 %. Das Unternehmen hat erkannt, dass nicht die perfekt gearbeiteten Kleider, sondern die neu kreierten, reissenden Absatz finden. Den Freunden zu zeigen, was man wieder Neues entdeckt und erstanden hat, ist trendy. Mit täglich über fünfhundert neuen Produkten, die erst produziert und innert Tagen geliefert werden wenn die Nachfrage läuft, begeistert das Unternehmen die Modewelt.
Andere, unter der Bezeichnung „Social Commerce“ erfolgreiche Absatzförderungen schaffen mit Spiel- und Unterhaltungs-Videos, aktuellen Musikalben, mit Chats und Video Messaging sowie Influencer eine unwiderstehliche Kaufatmosphäre. Der Onlineshop simuliert das Eintauchen in eine Erlebniswelt. Dieser Entwicklung haben die eintönigen Altstadt-Einkaufsstrassen nichts entgegenzusetzen. Das Ladensterben nimmt, so wie in den Landgemeinden ein Geschäft nach dem anderen aus dem Dorfbild verschwand, seinen Fortgang. Angetrieben auch durch die Modeketten, die ihr Filialnetz ständig verkleinern. Zwanzig Prozent der neu eröffneten Geschäfte schliessen bereits nach einem Jahr wieder.
Was wird aus den städtischen Verkaufsmeilen? Die Entwicklungen zeigen, dass die Innenstädte vermehrt zur Wohnstube und zum Verpflegungs- und Unterhaltungsraum der zahlreicher werdenden Singlehaushalte werden. Ein durchaus begründeter Trend, entspricht er doch einem natürlichen, sozialen Bedürfnis. Wer kocht und sitzt schon abends gerne allein in seiner kleinen Altstadt- oder Neubauwohnung. Egal ob eine Demo, ein Public Viewing, eine Musikveranstaltung oder einfach ein Sitting bei schönem Wetter, die Menschen strömen aus den Häusern und fühlen sich in ihrer Stadt zu Hause. Die bisherigen Stadtbenutzer sehen sich einer neuen Situation gegenüber. Wo sich viele Menschen treffen, gibt’s Littering und Lärm. Geschäfte beklagen sich über die negativen Auswirkungen auf ihre Kundschaft. Während die „neuen“ Stadtbenutzer den Strassenverkehr aus ihrer „Wohnstube“ verbannt haben möchten. Dabei stellt sich mit Recht die Frage: Weshalb müssen Verwaltungen, Banken, Ärzte und Anwaltspraxen ihre Arbeitsplätze im Stadtzentrum einrichten? Mit Ausnahme des nahe gelegenen Fastfood Shops ist für den zentralen Standort dieser Unternehmen kein Nutzen erkennbar?
Fronten zu bilden und darüber zu streiten, wer das Benutzungsrecht für Strassen und Plätze im Stadtkern hat, ist ohne klares Konzept sinnlos. Gestalten wir also die Innenstädte zum Dorf, wo sich die Menschen begegnen, sich austauschen und der Einsamkeit und den sozialen Medien entweichen können. Nehmen wir zur Kenntnis, dass Verwaltungen und das Dienstleistungsbusiness nicht in einen derartigen Stadtkern passen.
Zufällig wurden in den letzten Jahren in Gewerbegebieten genügend, attraktive, noch leer stehende Geschäftshäuser gebaut, wo sich Verwaltungen und Praxen aller Art kostengünstiger, Gewinn bringend einrichten können.
Neben den bereits reichlich vorhandenen Verpflegungangeboten sind Geschäfte der Unterhaltungs- und Vergnügungsbranche zur Belebung Geschäftsstrassen anzusiedeln. Vergnügungsangebote gehören nicht in's Gewerbegebiet, sondern dort hin, wo sich die Menschen aufhalten. Durch die Ansammlung von Lifestyle-Geschäften, die soziale Bedürfnisse ansprechen und nicht in Konkurrenz zu den Online-Angeboten stehen, können die Stadtkerne neuen Blütezeiten entgegensehen.