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„Es ist eine gefährliche Tendenz, dass die Menschen zu viel von der Regierung erwarten, aber gleichzeitig zu wenig für sie tun.“ Warren G. Harding

 

 

Schüler

Immer mehr Lehrpersonen haben angesichts der steigenden Arbeitslast das Gefühl, ihre eigenen Ansprüchen nicht mehr gewachsen zu sein.

Jede Woche bis zu 25 Aufsätze korrigieren und mit den Kindern besprechen, die Sprachbarrieren zugewanderter Kinder wegräumen, hyperaktive Kinder im Zaum halten, das verunsicherte Flüchtlingskind betreuen und gleichzeitig da und dort fundierte Lobs aussprechen, das ist unrealistisch. Zu gross ist der Aufwand für Betreuung und Koordination der heterogenen Klassen. Mit einer aktuellen Umfrage hat der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) die Berufszufriedenheit an den Volksschulen ermittelt. Mit einer Note von 4,2 bewertet das pädagogische Personal die Lage in der Deutschschweiz noch als genügend, während im Bereich der integrativen Förderung die Berufszufriedenheit mit einer Note von 3,7 ungenügend ausfällt.


In der Schweiz wird der Lehrplan 21 in einigen Kantonen schon seit Jahren umgesetzt. Trotz der im internationalen Vergleich guten Resultate ist zu beachten, dass fast ein Fünftel der Schweizer Schülerinnen und Schüler die von der OECD beschriebenen Mindestkompetenzen in Mathematik nicht erreichte. Im Lesen ist es sogar ein Viertel der Schweizer Schülerinnen und Schüler. Zudem schneiden vor allem Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien in der Hauptdomäne Mathematik nach wie vor deutlich schlechter ab als andere 15-Jährige. Die angestrebten Ziele werden in einem bedenklichen Mass verfehlt.


Res Schmid, Nidwalder Bildungsdirektor und stellvertretender Gesundheits- und Sozialdirektor sagt es deutlich: Der integrative Unterricht ist gescheitert! Er überfordert sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrpersonen. In vielen Klassen herrscht Unruhe, die die Konzentrationsfähigkeit der Schüler beeinträchtigt. Wenn Kinder das Klassenzimmer für Spezialbetreuungen verlassen müssen oder einen Gehörschutz tragen, um sich konzentrieren zu können, besteht eine untaugliche Lernatmosphäre.


Mit dem individualisierten Lernen sollten die unterschiedlichen Voraussetzungen, welche die Kinder mitbringen, egalisiert und Chancengleichheit geschaffen werden. Dank dem sogenannten selbstorganisierten Lernen, bei dem jedes Kind in offenen Lernlandschaften selbst wählen kann, wie viel und in welchem Tempo es lernen will, sollte einerseits jedes Kind individuell nach seinen Bedürfnissen gefördert werden, andererseits sollte es sich die Lernkompetenz quasi selbst aneignen. Das klingt zwar gut. Doch gerade leistungsschwächeren Kindern fehlt der antreibende Entdeckungsdrang. Diese Kinder brauchen Anleitung, Kontrolle ob sie einen guten Weg gefunden haben und vor allem Anerkennung und Ermutigung. Letztendlich zementiert das individualisierte Lernen bereits bestehende Leistungsunterschiede. Die Schwächeren bleiben in ihrer Entwicklung stehen und spüren bald einmal, dass sie abgehängt werden. Beste Voraussetzungen um unzufrieden, oppositionell oder gar kriminell zu werden.


Junge Leute klagen immer öfter über negative Gefühle, sind unzufrieden mit dem Leben, reizbar, haben Schlafprobleme und Kopfschmerzen. Jeder vierte Einwohner zwischen 17 und 21 Jahren hat seelische Probleme wie Angststörungen oder Depressionen. Das ergab eine Erhebung unter mehr als 3800 jungen Menschen. Neben enttäuschter Liebe, ausgeschlossen und einsam zu sein, ist der Leistungsdruck der Schule, dafür verantwortlich. Menschen zwischen 12 und 25 Jahren sind extrem empfänglich für Belohnungen und Zurückweisungen. Nicht beachtet oder gar ausgegrenzt zu werden, fördert Depressionen oder Ängste, stellen Jugendpsychiater fest. Die dargebotene Hand nahm im Jahre 2023 täglich 19 Telefonanrufe entgegen, bei denen es um Suizidgedanken Jugendlicher ging. Im Jahre 2022 wurden in der Altersgruppe 1 bis 44-jährig 181 Sterbefälle durch Suizid verzeichnet, 2 davon in der Altersgruppe 1 bis 14.


Laut einer vom Bundesamt für Kommunikation in Auftrag gegebenen Studie besitzt die Schweizer Bevölkerung nur geringe Medienkompetenz. Vielen Befragten fällt es schwer, sich verständlich und überzeugend auszudrücken sowie zwischen Information, Kommentar oder Werbung, die an sie herangetragen werden, zu unterscheiden. Sie erreichten nur 6 von 19 Punkten. Der Informationsaustausch, die Kommunikation gehören zu den entscheidenden Lebensgrundlagen und müssen im Stellenwert der IT und der Mathematik mindestens gleichgestellt sein. Was hat bitte die Digitaltechnik in der Mode, beim Fussballspiel, beim Bäcker, beim Musik spielen, auf dem Gemüsefeld, beim Tanzen, Essen usw. für eine Bedeutung? Gute Kommunikation bringt aber überall Erfolg und Lebensqualität.


Viele Leute sind mit der staatlichen Volksschule unzufrieden. Grosse Probleme wie etwa die zunehmende Gewaltbereitschaft an den Schulen, Mobbing unter Kindern, der hohe Ausländeranteil in gewissen Klassen und die Angst, dass die Kinder sich in der heutigen Arbeitswelt nicht zurechtfinden werden, veranlassen viele Eltern nach Alternativen zu suchen. Vor allem das Interesse an Privatschulen für Primarschüler steigt kräftig an. Der Anteil von Kindern, die Privatschulen besuchen, ist zwar seit Jahren konstant. Viele der 1355 Privatschulen können jedoch aus Kapazitätsgründen keine weiteren Schülerinnen und Schüler aufnehmen. Das zeigt sich in länger werdenden Wartelisten. In Genf drücken gegenwärtig rund 18 Prozent der Schulkinder eine private Schulbank, obwohl eine solche jährlich 20'000 Franken kostet und, um die Flucht aus öffentlichen Schulen zu verhindern, keine staatlichen Beiträge entrichtet werden.


«Dauert die jetzige Situation an, droht ein Scherbenhaufen», sagt LCH-Präsidentin Dagmar Rösler.


An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, was hat die Volksschule mit all diesen Themen zu tun?


Primäres Ziel des Bildungswesens ist es, physisch und psychisch gesunde, zufriedene Jugendliche heranwachsen zu lassen und ihnen Mittel und Können in die Hand zu geben, damit sie zufrieden und menschenwürdig durch ihr irdisches Leben gehen und auf sie zukommende Ärgernisse bewältigen können.


Die deutsche Kultusministerkonferenz hat die durch die Schule zu erarbeitenden Fähigkeiten folgendermassen definiert.

Handlungskompetenz wird verstanden als die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht, durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Handlungskompetenz entfaltet sich in den Dimensionen von Fachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz.


Es ist Auftrag aller Bildungseinrichtungen, ein gutes, respektvolles Zusammenlebens in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern. Die in der Schweiz nicht öffentlich formulierte, bei den Schulen anfallende Erziehungsaufgabe, ist notwendig, weil die Eltern, in der Regel eingespannt in den Berufsalltag und weiteren Verpflichtungen, zeitlich dazu gar nicht in der Lage sind. Kindern die nötige Lebensanleitung und Unterstützung zu geben, lässt sich nicht nach einem KITA-Tag am Abend schnell mal erledigen. Diese schleichend der Schule auferlegte Aufgabe ist mitverantwortlich für die „Bildungskrise“. Die Vorstellungen der Eltern über die Kindererziehung, sind dermassen vielfältig, wie es Menschen gibt, die sich mit Kindern befassen. All diese „Besserwisser“ sind schnell zur Stelle, wenn ihre Erziehungsvorstelllungen durch die Schule nicht erfüllt werden. Das Wirrwarr an Meinungen, wie die Lehrpersonen „Erziehungsarbeit“ leisten sollen, lässt sich nur sachgerecht lösen, wenn die Politik klare, für Schule und Eltern geltende Vorgaben festlegt. Genau gleich wie im Lehrplan für die Berufsfähigkeiten sind gesellschaftlich abgestimmte, zu erreichende Verhaltensregeln, zum Beispiel bezüglich Konfliktlösung, fruchtbarer Kommunikation, Wegwerfgesellschaft etc. zu definieren. Ohne derartige Regeln, sind Vorwürfe, die an die Schule gerichtet werden, haltlos. Es fehlt der gemeinsame Leitfaden für ein gedeihliches, gesellschaftliches Zusammenleben, ein „Regelwerk“ auf das sich beide Seiten abstützen können.


Sieger von Wettkämpfen aller Art, prominente Personen sowie die Musik- und Filmstars werden in den Medien als „Supermenschen“ dargestellt. Dass nur die Besten Anerkennung finden, verankert sich in den Köpfen der Eltern und Heranwachsenden und fordert das Antrainieren maximaler, im Lehrplan vorgegebener Leistungen. Der zu erreichende Status dient als Zielvorgabe. Ist die Zielerreichung in Gefahr, wird nicht nur dem Kind, sondern auch den Ausbildern der Drohfinger gezeigt. „Wenn du dich nicht bemühst, wirst du zukünftig unangenehme Arbeiten bei wenig Lohn erledigen müssen“. Eine psychische Peitsche, die in der ganzen Gesellschaft allgegenwärtig ist. Bewundert wird, wer ein Diplom ausweisen kann, wer über das neueste, teuerste Handy verfügt, wer sich eine exklusive Kleidermarke leisten oder mit einem möglichst mächtigen SUV vorfahren kann und nicht zuletzt, wer über ein Eigenheim im Grünen verfügt. Wer sich in dieser Form ausweisen kann, dem wird ein zufriedenes, glückliches Leben attestiert. Im erreichten Status baden ist erwiesenermassen jedoch nicht gleichbedeutend mit menschlicher Zufriedenheit. Zudem zählt das Streben nach diesen Gütern zu den bedenklichsten Umweltsünden.


Die UNICEF hat im Jahre 2014 Kinder nach ihren Bedürfnissen befragt. Ganz oben stehen Freundschaft und Familie. Für 73 % aller befragten Kinder ist Freundschaft total wichtig. Mit 74 % ist die Familie das Allerwichtigste. Kids wünschen sich mehr Zeit mit Mama und Papa. Und zwar Zeit, die nicht nur der reinen Versorgung und Betreuung des Kindes gilt, sondern Zeit, in der die Kinder am Leben der Eltern teilhaben, sich daran orientieren, nachahmen, Handlungen der Erwachsenen ausprobieren und lernen können. Diese Beteiligung der Kinder am Erwachsenenleben war in der Vergangenheit beim Bäcker, beim Schneider, beim Bauer etc. selbstverständlich. Wer es einmal erlebt hat, mit welcher Begeisterung Kinder beim Gärtnern, beim Pferde pflegen, beim Schneiden von Gemüse etc. begeistert mitmachen, versteht, wovon hier die Rede ist. Ihre Begeisterung ist komplett, wenn sie etwas Neues entdeckt oder geschafft haben. Bei diesen Handlungen ist ausschlaggebend, mit welcher Begeisterung der „Erziehende“ zu Werke geht. Kein Kind wird sich eine Handlung angewöhnen und später engagiert einsetzen, wenn es nicht freudvoll und engagiert vorgelebt, sondern mit „du musst...“ dazu gezwungen wird.


Nicht das Schaffen von noch mehr Industriegütern muss im Zentrum der zukünftigen Beschäftigungen sein, sondern die gesunde, umweltverträgliche Ernährung, das soziale Wohlbefinden, die Kultur, die Natur und das Ressourcen schonende Wirtschaften. Die Bildung hat ihren Zweck erfüllt, wenn die heranwachsenden Menschen das Wohlbefinden aller Menschen in der natürlichen Umwelt und die Sicherung des Fortbestands verinnerlicht haben und dies als Lebensziel sehen. Dieses Ziel zu verfolgen, erfordert die Abkehr vom Einzelkämpfertum (Mitmenschen zum eigenen Vorteil über den Tisch ziehen) und die Stärkung des Gemeinschaftssinns. Schulnoten und die PISA-Studien mögen in der Vergangenheit ihren Zweck erfüllt haben, sind aber heute fehl am Platz. Die heutige Welt ist zu kompliziert, als dass die Note eines Schulfaches Aufschluss über die Fähigkeiten einer Person geben könnte. Jeder Mensch hat besondere, persönliche Fähigkeiten. Das Zusammenspiel unterschiedlicher, menschlicher Fähigkeiten führt in einem Team zu maximaler Motivation und Leistung. Siehe Fussballmannschaften: Diese setzen sich aus verschiedenen Talenten zusammen und nicht nur aus Top-Torschützen. Der gemeinsame Erfolg beflügelt sie zu Begeisterungsstürmen. Nicht die Einzelleistung zählt, sondern was die Gemeinschaft, also die Klasse, ein Unternehmen oder ein ganzes Land hervorbringt. Eine Gemeinschaft vermittelt jedem Einzelnen die Sicherheit, dazuzugehören. Viele Kinder schaffen es nicht, sich mit eigenen Kräften in den Klassenverbund „hineinzudrängen“. Sie fristen ein Randdasein, gehen ungern zur Schule und nicht wenige beanspruchen den schulpsychologischen Dienst. Die Förderung der Gemeinschaft vermittelt nebenbei die Kompetenz, sich im späteren Leben in eine Gemeinschaft einzufügen und seine Position zu finden. Eine gute Lehrperson ist nicht primär ein Wissensvermittler, er vereint seine Kinder zu einer begeisterten Gruppe. Seine Bildungsarbeit ist vorbildlich, wenn die Schüler mit der Pausenglocke nicht einzeln oder in verschworenen Gruppen aus dem Zimmer stürmen, sondern wenn sie sich gerne noch länger in der Gemeinschaft im Klassenzimmer aufhalten, um persönliche Anliegen auszutauschen.


Ein Anschauungsbeispiel gibt es im Bergdorf Bratsch. Im Dorf leben knapp 100 Menschen. Die Schulzimmer standen leer, bis sich vor neun Jahren der visionäre Walliser Pädagoge Damian Gsponer entschied, die Schule zu neuem Leben zu erwecken. Er stellte die Kinder in den Mittelpunkt. Vertrauen, Beziehungen und der Umgang miteinander brachten ein pulsierendes und fröhliches Ambiente. Der Grundgedanke ist: Es gibt keine Trennung zwischen Schule und Leben. Es geht um Kommunikation, Durchsetzungsvermögen, Bewältigungsstrategien, Problemlösung, eingebettet in ein Programm, das die Lebenskompetenzen stärkt. Es ist eine Schule, in der sich Lehrpersonen nicht als Wissensvermittler, sondern als Mentoren verstehen, um den Kindern dabei zu helfen, ihre Projekte zu verwirklichen und an ihren eigenen Visionen zu arbeiten.


Welch enormen Zuspruch diese Schule hat, lässt sich an der Warteliste ablesen: 140 Kinder sind darauf eingetragen, deren Eltern alle hoffen, dereinst einen Platz an dieser Schule zu erhalten. Gegenwärtig umfasst die Schülerschaft rund 60 Kinder und Jugendliche. 27 Jugendliche haben die Schule bisher zur weiterführenden Lebensgestaltung in Richtung Berufsausbildung in Gymnasien, Fachmittelschulen, Berufsmaturitätsschulen und Berufslehren verlassen. Ausbilder bestätigen eine überdurchschnittliche Qualität in der Lebensbewältigung. Die Lehre aus diesem Erfolgsmodell: Wir können unsere Schulen verbessern, indem wir deren Ausgestaltung den Pädagogen und nicht den Politikern überlassen. Bei Spitälern kommt auch kein Politiker auf die Idee, den Ärzten die Arbeitsweise vorzuschreiben.

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