Wir leben in einer Kultur, in der Scheitern als Makel gesehen wird. Wir werden von klein auf darauf getrimmt, keine Fehler zu machen.
Machen wir sie doch, kommt der Rotstift zu Einsatz oder es kommt gar zu Sanktionen. Der Selbstwert nimmt Schaden.
„Den grössten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“ Dietrich Bonhoeffer
Fehler sind stark mit Emotionen verbunden. Wenn wir einen Fehler machen, sind wir enttäuscht, traurig und haben Angst, dass wir negativ bewertet werden. Diese Empfindungen sind von Person zu Person unterschiedlich. Einige fühlen sich bereits bei kleinsten Fehlern sehr schuldig, leiden stark und über eine lange Zeit. Andere spüren, auch bei gravierenden Fehlern, wenig oder gar nichts. Diese Ausprägungen haben mit der Kindheit zu tun. Damit wird die Bedeutung der „Kindererziehung“ deutlich. Fehler im Schulheft werden rot angestrichen. Stellen die Eltern fest, dass Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht wurden, rügen sie mit strafendem Blick das unkorrekte Verhalten. Im Wiederholungsfall folgt Beschimpfung oder gar Bestrafung. Keinesfalls Fehler machen, wurde zum eingeprägten Lebensgrundsatz.
Im Privatleben
Haben wir in der Urlaubszeit die Pflanzen des Nachbarn ungenügend gegossen, sodass sie eingingen, ärgern wir uns. Wir fühlen uns unfähig, weil der anerzogene Perfektionismus versagt hat. Oftmals denken wir noch stunden- oder tagelang an nichts anderes mehr. Es fällt uns schwer, diese Gedanken beiseite zu legen, obwohl rational betrachtet der Fehler nur einen unbedeutenden Moment des Lebens ausmacht. Wir müssen erkennen, dass bei unserer Erziehung fälschlicherweise versucht wurde, zukünftige Fehler mit Bestrafung und nicht mit Beseitigung der Ursache zu vermeiden. Ein Verhalten, das auch heute noch, beispielsweise bei Busen und bei Kriegen, dominiert.
„Irren ist menschlich“ und „Aus Fehlern soll man lernen“ fasst eigentlich schon recht gut zusammen, was es mit Fehlern auf sich hat. Wo Menschen sind, passieren Fehler. Daran ändert auch umfassende Bildung nichts. Allerdings – den gleichen Fehler sollte man kein zweites Mal machen. Mit anderen Worten: Fehler können und müssen zum Lernen genutzt werden. Sie sind daher als Herausforderung und nicht als Schwäche zu sehen.
Jeder Prozess, der an unseren Werten, Erziehungsmustern, an alt Bekanntem und Etabliertem rüttelt und ein Loslassen alter Muster sowie die Entwicklung unserer Persönlichkeit anstrebt, erfordert persönliches Anstrengungen und es dauert seine Zeit.
Schritte zur Vermeidung verhängnisvoller Fehler:
- Fehlerakzeptanz
- Fehler offen zugegeben.
- Sachliche Kommunikation statt Schuldfrage: Wie gelingt es mir …? Was genau mache ich das nächste Mal anders? Wie kann ich … vermeiden?
- Lernprozess immer wieder aufgreifen.
Im Unternehmen
Ein offener Umgang mit Fehlern ist in Firmen vonnöten, um das Wohlbefinden und das Engagement der Mitarbeiter zu fördern. Gerade in der heutigen, individualistisch orientierten Gesellschaften stellt Scheitern eine Bedrohung des Selbstwertes dar. Je mehr der Status in der Gesellschaft erstklassige Leistung abverlangt, desto gravierender ist ein Versagen.
Das zeigt sich auf breiter Front in der Digitaltechnik. Was Tastenbetätigungen alles bewirken können, ist vor allem den Anfängern verborgen. Dass dabei lästige Vorgänge ausgelöst werden können, haben wir alle schon erlebt. Wenn überhebliche Mitarbeiter oder gar der Vorgesetzte einem zu spüren geben, dass man umständlich sei und von der Informatik besser die Finger lasse, sind die Weichen gestellt. Eine Studie weist aus, dass Unternehmen, die offen mit Fehlern umgehen, mehr als 40 Prozent effektiver arbeiten. Die Angst am Bildschirm Fehler zu machen und belächelt zu werden blockiert den Fortschritt. Die Studie zeigt auch, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die negatives Feedback erhielten, weniger aus ihren Fehlern lernten als solche mit positivem Feedback.
In manchen Branchen können Fehler Menschenleben kosten, beispielsweise im Flugverkehr. Flugunfall Untersuchungen ergaben, dass der Hauptgrund die mangelnde Zusammenarbeit der Besatzung war. Die Erkenntnis, dass in der Geschichte der Luftfahrt Flugkapitäne zu 80 Prozent für Abstürze verantwortlich waren und Co-Piloten nur zu 20 Prozent, verdeutlicht, dass das Hierarchiedenken und nicht ein mangelndes Wissen und Können für die tragischen Ereignisse ausschlaggebend waren. Diese Fehleranalyse brachte die Airlines dazu, sich vom Bild des allwissenden Kapitäns zu verabschieden und das konzentrierte Zusammenwirken zweier Köpfe zu etablieren.
Zu den Hochrisiko-Betrieben gehören auch die Akteure des Gesundheitswesens. Das schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG) geht davon aus, dass 12 Prozent aller Patienten im Spital Opfer unerwünschter Ereignisse werden. Die Hälfte davon könnten vermieden werden und damit auch 2'000 bis 3'000 Todesfälle pro Jahr. Die Stiftung Patientenschutz kommt in einer Umfrage zum Schluss, dass Fehler in vielen Schweizer Spitälern noch immer als Tabu gelten und vielerorts systematisch totgeschwiegen werden. Nicht einmal bei den Ereignissen mit schwerer Schadenfolge gibt es in jedem Spital klare Prozesse, wie sie gemeldet und was für ein Verbesserungsprozess in die Wege geleitet wird.
Der erste Schritt bei einer Neuausrichtung zu einer positiven Fehlerkultur ist der Mut, Probleme anzusprechen. In einer Studie von EY (Ernst und Young) haben 80 Prozent der befragten Führungskräfte zugegeben, Fehler bei wichtigen Projekten, mit finanziellen Schäden, gemacht zu haben. Aber nur 45 Prozent der Beschäftigten gaben an, dass ihre Vorgesetzten Fehler eingestehen.
Bei Teamarbeiten wird oftmals eine „Teamalterung“ festgestellt. Es etablieren sich Rollen. Jeder und jede beschäftigt sich fortan, ausschliesslich mit seinen Aufgaben. Die Teammitglieder bringen, aus Bequemlichkeit, keine zweckdienlichen Ideen mehr in andere Aufgabenbereiche ein, womit die Teamarbeit ad absurdum führt. Gleichzeitig entwickelt sich eine soziale Vertrautheit, mit der zunehmend die zwischenmenschlichen Themen, anstelle der Unternehmensaufgaben, Vorrang haben. Beides führt mittelfristig zu Anhäufung von Fehlern, geringerer Leistung und mangelnder Innovation. Es ist Aufgabe der Führung, den Reiz der Teamarbeit mit neuen Herausforderungen stets hochzuhalten.
Fehler werden nicht automatisch korrigiert, wenn sie passieren. Zu einer konstruktiven Fehlerkultur gehören mehrere Aspekte. Angefangen von der Fehlerakzeptanz, also der Einsicht, dass Fehler Erfahrungen und Teil von Lern- und Entwicklungsprozessen sind. Darüber hinaus sind Sanktionsfreiheit sowie unternehmerische Impulse für einen Prozess zur Fehlervermeidung notwendig.
In der Politik
Was für eine Fehlerkultur herrscht in der Politik, im Bundesrat und im Parlament? Werden hier überhaupt Fehler gemacht? Was sind Fehler? Der Duden definiert Fehler als Abweichung vom Richtigen. Doch was ist richtig? Mit richtig meinen wir häufig Regeln, Normen, Traditionen, ausgesprochene oder unausgesprochene Erwartungen oder Vorstellungen.
Richtig ist beim Parlament demnach, wenn Regeln/Gesetze, wo erwartet, erstellt oder eliminiert werden und die Gesetze und Beschlüsse den Erwartungen der Stimmbürger entsprechen. Diese Aufgaben wurde offensichtlich nicht in allen Teilen erfüllt. In den Jahren 2000 bis 2024 wurden von den 105 zur Abstimmung gebrachten fakultativen und obligatorischen Referenden 27 (25,7 %) vom Volk abgelehnt. Wie weiter oben in diesem Artikel erläutert, wäre es falsch eine Nullfehlerpolitik zu verlangen. Wo Menschen arbeiten, geschehen Fehler. Aber wenn in den Jahren 2000 bis 2024 durchschnittlich nur 58,4 % der Stimmbürger den Abstimmungsvorlagen zustimmten und 41,6 % die ausgearbeiteten Gesetzesvorlagen des Parlaments ablehnten, muss die Arbeit als ungenügend bewertet werden. Das einvernehmliche Vertrauen in das Parlament fehlt. Der Ehrgeiz, aber auch die Erkenntnis, dass mit einer guten Vertrauensbasis zu den Bürgern, sich besser regieren lässt, sollte für das Parlament Anlass genug sein, eine Zustimmung von 70 % der Stimmenden anzustreben. Zu erreichen wäre dies, mit einem in der Wirtschaft üblichen Fehlermanagement.
Sehr viel besser liessen sich Fehler des Parlaments allerdings durch ein Verfassungsgericht handhaben. Ein solches würde nach den Vorgaben der Verfassung urteilen und klar darauf hinweisen, wo und warum geltende Regeln nicht eingehalten wurden.
Die Arbeit der Bundesräte lässt sich, da zu vielfältig, nicht anhand statistischer Daten nach Fehlern überprüfen. Das bedeutet nicht, dass sie keine Fehler machen, keine Fehler machen dürfen. Ihre Arbeit wird hinreichend an die Medien herangetragen, sodass es der Öffentlichkeit frei gestellt ist, darüber zu diskutieren und zu urteilen. Weichen die Massnahmen des Bundesrates von den Vorstellungen der Öffentlichkeit stark ab, resultiert in der Regel eine Volksinitiative, was zu einer „Fehlerkorrektur“ führen kann. Von den 107 in den Jahren 2000 bis 2024 zur Abstimmung gebrachten Initiativen wurden 92 verworfen. 107-mal glaubten Stimmbürger vorteilhaftere Lösungen zu kennen. 92-mal wurden sie vom Stimmvolk eines Besseren belehrt. Ganz offensichtlich haben sich die Bundesräte in diesem Zeitraum jeweils zu harmonischer Teamarbeit zusammengefunden und haben sich sehr wenig Fehltritte erlaubt.