Braucht die Schweiz ein Road Pricing? Also eine weitere Verkehrsabgabe, ohne dass der Umweltschutz verbessert, sondern mit dem ungebremsten Ausbau des öffentlichen Verkehr der Energiebedarf weiter erhöht wird?
Bundesrätin Sommaruga will die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, damit eine Reihe von Regionen Pilotprojekte für ein Mobility Pricing durchführen können. Wer Strasse oder Schiene zu Stosszeiten benutzt, soll mehr zahlen, so der Plan. Damit will man Staus auf der Strasse und Dichtestress in Zügen beseitigen, ein Plan, der den motorisierten, privaten Verkehr lediglich zeitlich verlagert und quer zu den gegenwärtigen Umweltschutz Bestrebungen steht.
Staus auf den Straßen, Gedränge auf den Bahnhöfen, überfüllte öffentliche Verkehrsmittel, Belastung der Atemluft durch Abgase und hoher Energiebedarf sind Erscheinungen, die auf die zunehmende städtische Zentralisierung zurückzuführen sind und Mensch und Umwelt schädigen.
Trotz der einschneidenden, negativen Auswirkungen macht sich weder die Politik, geschweige denn die Wirtschaft Gedanken über die Ursachen und mögliche Abhilfen. Lukrative Bauten mit tausenden von Arbeitsplätzen gehören ins Zentrum von Großstädten. Das scheint unabdingbar für Anerkennung und Bewunderung der Institution, mit der Konsequenz, dass sich tausende von Menschen, mit meist über einer Stunde Arbeitsweg, durch den Verkehrsschlamassel quälen müssen.
Die Stadt Zürich verzeichnet 407'000 Einwohner. Hiervon gehen 273'000 einer Beschäftigung nach. Laut Statistik arbeiten in Zürich 468'000 Menschen. 195'000 reisen demnach morgens zur Arbeit an und verlassen abends die Stadt wiederum, um in die Regionen hinaus, nach Hause zu fahren. Zu diesem Pendlerstrom müssen 26'000 Studierende und schätzungsweise 28'000 Personen hinzugezählt werden, die die Stadt besuchen oder durchreisen. Insgesamt bewegt sich ein Menschenstrom von 249'000 Personen entsprechend 475 S-Bahneinheiten (Sitzplatzangebot) in die Stadt, wobei die grössere Anzahl einen PW benutzt.
Zur Lösung dieses Missstandes sehen die Autofahrer den Ausbau des Straßen- und Parkplatzangebotes, während die Politik den öffentlichen Verkehr weiter Ausbauen will. Von einer Auslagerung von Teilen der 35'000 Beschäftigten der kantonalen Verwaltung aus dem Stadtgebiet hinaus, will die Regierung, mit wenig glaubwürdigen Argumenten, nichts wissen. Mehr noch – es ist die Politik, die praktisch mitten in der Stadt den Ausbau der Hochschulen und der Universitätsklinik vorantreibt. Allein in diesen Stadtbezirk strömen täglich 26'000 Studierende und 15'000 Beschäftigte. Obwohl sowohl die Schulen als auch das Spital durchaus Institute und Fakultäten führen, die mit anderen keine Berührungspunkte haben und ohne Nachteile in der Agglomeration angesiedelt werden könnten.
Zu bedenken ist auch, dass die erwähnten, durch Steuergelder finanzierten Einrichtungen auf Stadtgebiet residieren, auf dem bekanntermaßen nur Banken, Versicherungen, Ärzte und Juristen sich eine Immobilie leisten können. Öffentliche Einrichtungen wollen da nicht Abseits stehen. Auch die Regierungen möchten im Konzert der Mächtigen mitspielen, obwohl sie, im Gegensatz zu den internationalen Großunternehmen, eine bescheidene lokale Bedeutung haben. Anstelle die Steuergelder mit maßlosen Mietzinsen der Finanzwirtschaft zufließen zu lassen, wäre der Bevölkerung mit kreativen, der Gemeinschaft dienenden Bauten an optimaler Verkehrslage für den Bereich Kultur, Sport und/oder Innovationspark besser und zukunftsweisender gedient. Gleichzeitig würde es dem ganzen Staat und nicht nur der Regierung Anerkennung und Ansehen verleihen.
Vernunft muss bei politischen Entscheidungen gegenüber Bedürfnissen von Interessengruppen oft hinten anstehen. Das kommt insbesondere bei der Zentralisierung und Ansiedlung staatlicher Einrichtungen und großer privatwirtschaftlicher Arbeitgeber mitten im Zentrum von Großstädten zum Ausdruck. Die negativen Auswirkungen sind vielfältig und einschneidend. Ein Gesetz, das in einem Stadtbezirk höchstens soviel Arbeitsplätze wie Bewohner zulässt, würde sehr schnell den Mobilitätsstress verringern, der Umwelt weniger Schadstoffe und dem Staat weniger Kosten für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bewirken – ein echter Fortschritt im gemeinschaftlichen Zusammenleben.