Die chinesische Staatsführung baut ein umfassenden, digitales Punktesystem auf, um Informationen der Bürger zu sammeln und die Daten zur Einflussnahme auf ihr Verhalten zu nutzen.
Ziel ist es, die Bürger mit Belohnungen zu einem der Gemeinschaft dienenden Verhalten zu motivieren. Belohnungen können sein: Bevorzugung bei Vergabe von attraktiven Wohnlagen, bei Personaleinstellungen oder bei Zugang zu Waren, Dienstleistungen oder Ausbildungen. Also mit Gütern, bei denen nur eine begrenzte Menge verfügbar ist und somit nicht jedermann in den Genuss des Privilegs kommen kann. In den westlichen Industriestaaten erfolgt diese Zuteilung nach Finanzkraft oder im schlechteren Fall durch „Vitamin B“. Wer genügend Geld hat, hat Zugang zu den begehrten Dingen, wer nicht, hat das Nachsehen.
Das chinesische System wird in der westlichen Öffentlichkeit als schwerwiegender Eingriff in die Menschenrechte verteufelt. Die staatliche Überwachung und Kontrolle sei unsozial und hierzulande unerwünscht. Demgegenüber sagt die chinesische Regierung und auch viele Chinesen: Durch diese Überwachung halten die Menschen besser die geltenden Regeln ein, Kriminalität und Korruption werden reduziert und der Stress unter den Bürgern wird reduziert, weil auch Unternehmen auf gleiche Art und Weise zu Konsum- und Arbeitnehmerfreundlichkeit angehalten werden. Es herrscht der Glaube, dass Xi Jinping ein guter Manager sei und das Land in eine gute Zukunft führe.
Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass im Westen durchaus vergleichbare, Staatseingriffe vorliegen. Daten werden auf Computern gespeichert, wenn jemand einen Job annimmt, wenn er seinen Wohnort wechselt, wenn er krank oder arbeitslos ist, wenn er Einkäufe tätigt, wenn er telefoniert usw. usw. Was mit den Daten geschieht, verläuft im Versteckten. Die Beeinflussung von Wahlergebnissen und die missbräuchliche Verwendung persönlicher Daten sind beispielhaft. Niemand weiss beispielsweise, was mit den Datensätzen, bei vom Staat automatisch eingezogen Parkgebühren, geschieht.
Praktisch identisch, mit dem chinesischen System, sind die bei uns angewendeten Straf- und Bonitätslisten. Wer hier gegen die Vorgaben (Gesetze) des Staates verstösst, dem wird im zukünftigen Leben manche Mietwohnung und mancher Arbeitsplatz verwehrt bleiben. Kundenfreundlicher arbeitet die Privatwirtschaft, die bei den Motorfahrzeugversicherungen die unfallfreien Motorfahrzeuglenker mit tieferen Prämien belohnt. Ähnliches gilt bei den Motorfahrzeugsteuern. Fahrzeughalter, die ein umweltfreundliches Fahrzeug verwenden, profitieren von tieferen Abgaben. Vermehrt wird hierzulande der Begriff "Lenkungsabgabe" verwendet. Dieser Begriff klingt weniger plump als "Erziehungsabgabe", bedeutet aber dasselbe.
Die politische, also die staatliche Überwachung, gibt es nicht nur in China. Dass sämtliche Finanzdaten der westlichen Industrieländer in den Händen der US-Regierung sind und sich diese Zugriffsrechte auf die Kundendaten der internationalen IT-Unternehmen gesichert hat, ist schon gar kein Geheimnis mehr. Auch in Grossbritannien zeichnet die Polizei alles auf, was ein Bürger oder eine Bürgerin digital tut. In Deutschland werden die Verkehrsteilnehmer mit einem ausgefeilten Punktesystem zu einem erwünschten Verhalten im Strassenverkehr erzogen. Bei Erreichen von fünf Punkten kann mit einem Fahreignungsseminar der Punktestand abgebaut werden. Mit acht Punkten wird der Führerschein entzogen.
Immer mehr Gesetze und Verbote nehmen Einfluss auf das Leben der Menschen und werden nach dem Spruch „Gesetze ohne Kontrolle sind nutzlos“ kontrolliert und mit Strafen durchgesetzt. Das Durchsetzen geschieht noch nicht mit digitalen Prozeduren, es sind Polizisten auf der Strasse und ein intransparenter Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen und privaten Institutionen. Erinnern wir uns daran, dass der Staat beim Steuerwesen auf Bankkonten und Geldtransfers zugreifen kann.
Mit dem Impfzertifikat wurde erstmals eine zentrale Datensammlung aller Bürger geschaffen – wer hat sich wann wo womit impfen lassen. Mit der im Entstehen begriffenen Schweizer E-ID wird dieser erste Schritt erheblich ausgeweitet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die erfassten Informationen aus allen Lebensbereichen, staatlich ausgewertet und daraus Handlungen abgeleitet werden. Der heutigen Gewohnheiten entsprechend, werden es in den Industriestaaten primär Geldstrafen sein, während China auf Belohnung setzt. Beispielsweise wird in Europa, inkl. Schweiz, mit der Einführung der Auto-Blackbox registriert, wenn eine Geschwindigkeitsübertretung vorliegt. Aus Spargründen drängt sich auf, diese Information direkt an die Verkehrspolizei zu übermitteln. Blitzgeräte gehören danach der Vergangenheit an. Hier geht es um die Sicherheit im Strassenverkehr, wird die Begründung sein und mit dem Argument „Sicherheit der Bevölkerung“ lässt sich heute jede Überwachung durchsetzen. Im Grunde genommen handelt es sich dabei lediglich um eine Ausweitung, der bei Lastwagen schon angewendeten Überwachung, auf den Privatverkehr. Die Erfassung von Ruhezeiten, Geschwindigkeit und Fahrstrecke etc. ist dort längst etabliert. Schritt für Schritt wird später auch das Überziehen einer Parkzeit und das Überfahren von Rotlicht mit dem Abbuchen des Busgeldes vollautomatisch abgewickelt. Die schweigende Mehrheit wird damit einverstanden sein, wenn beteuert wird, dass die Daten ausschliesslich für diese Zwecke verwendet werden.
Genau gleich wie eine Polizei ist ein Sozialkreditsysteme nicht per se schlecht. Das Vorhandensein einer Polizei deutet in keiner Weise auf einen Polizeistaat hin. In beiden Fällen ist die Nutzung des Instruments ausschlaggebend. Zwanzig Prozent der Bevölkerung finden ein Sozialkreditsystem inzwischen als wünschenswert. Sinnvoll angewendet lässt sich durchaus ein Nutzen erzielen. Anfangen müssten Regierungen und Parlamente mit dem Eindämmen der Gesetzesflut. Überwachungen sind erforderlich, wenn ein Gesetz ein bestimmtes Verhalten verlangt und die Einhaltung überwacht werden soll. Die Angst der Bürger ist nicht in der digitalen Überwachung begründet, sondern in den allgegenwärtigen Einschränkungen und Verhaltensanweisungen. Polizisten bewirken keine Ängste, im Gegenteil, für die Einhaltung der Regeln und damit für Ordnung sorgen, wird begrüsst. Wenn es den Demokratien gelingt, vergleichsweise zu China weniger einschränkende, mehr der Bevölkerung nutzbringende Gesetze zu schaffen, macht ein Sozialkreditsystem nicht nur Sinn, sondern bewirkt ein lebenswerteres Staatswesen. Insbesondere wenn es auf Belohnung und nicht auf Bestrafung setzt; zum Beispiel mit Bonuspunkten bei der Krankenversicherung.