58,1 % der Schweizer Bevölkerung wohnt in Miete. Die Mietpreise sind in den vergangenen 18 Jahren explodiert.
Die Mehrheit der Bevölkerung hat demnach höhere Auslagen, ohne dass ihnen daraus Lebensqualität erwächst. Sie muss sich an anderen Orten einschränken und muss, durch die ebenfalls steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen und in der Altersvorsorge, sinkenden Wohlstand in Kauf nehmen.
Dass der Bundesrat in dieser Situation beim Mietrecht Änderungen anstrebt, die ausschliesslich den Vermietern Nutzen bringt und dem Grundbedürfnis der Menschen nach einem menschenwürdigen Wohnraum den nötigen Schutz vorenthält, ist unverständlich. Es wäre angebracht, in einem fairen, demokratischen Kompromiss, gleichzeitig die elende Situation der Mieter zu verbessern.
Am 1. Juni 2022 wurden in der Schweiz 61.496 Leerwohnungen gezählt, was 1,31 % des Gesamtwohnungsbestands entspricht. Der allgemein geltende Grundsatz, wonach die Wohnkosten weniger als 30 % des Einkommens betragen sollen, ist in vielen Ballungszentren nicht erfüllt. Es besteht eine ausgewiesene Wohnungsnot.
Laut geltenden Regeln können die Vermieter einen Mietvertrag wegen sogenanntem dringendem Eigenbedarf für sich, für nahe Verwandte oder verschwägerte Personen künden. Der Vermieter muss die Dringlichkeit nachweisen. Der Bundesrat erachtet eine Änderung dieser Regelung als notwendig, sei doch der Nachweis nicht einfach und könne zu langen Verfahren führen. Zu bedenken ist allerdings, ob die wenigen Fälle von begründetem Eigenbedarf den Aufwand einer Volksabstimmung rechtfertigen.
Eigenbedarf gehört zu den klassischen Kündigungsgründen eines Vermieters. Neu soll eine Kündigung möglich sein, wenn ein «bedeutender und aktueller» Eigenbedarf vorliegt – statt, wie bisher, ein «dringender». Wann ein bedeutender und aktueller Grund vorliegt, muss jeweils im konkreten Einzelfall durch Schlichtungsbehörden und Zivilgerichte definiert und entschieden werden. Dass diese geänderte Formulierung rechtliche Auseinandersetzungen vereinfachen soll, ist nicht nachvollziehbar.
Unter welchen Voraussetzungen zukünftig gekündigt werden kann, ist in der Abstimmungsvorlage nicht verankert. Ist der Einbau einer neuen Heizung ein aktueller und bedeutender Grund? Sind Veränderungen am Finanzmarkt ein aktueller und bedeutender Grund? Wohl ist von „Eigenbedarf“ die Rede, aber nirgends steht geschrieben, dass der Besitzer oder seine Familienmitglieder den Wohnraum unmittelbar belegen müssen. Den Mietern werden weiterhin Rechtsverfahren zugemutet, um ihre Wohnsituation zu sichern. Parallelen zum Mietpreisschutz sind unverkennbar und lassen zukünftig missbräuchliche Kündigungen erahnen.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Schutz von Besitztum höher zu werten ist als das menschliche Grundbedürfnis nach Wohnraum. Bundesrat und Parlament haben sich zugunsten des Besitztums entschieden. Bleibt zu hoffen, dass die Stimmbürger diese Weichenstellung erkennen und den Bedürfnissen der Mieter höhere Bedeutung beimessen.
Lediglich 46 Prozent der Mietwohnungen gehören Privatpersonen. Der übrige Anteil gehört Pensionskassen, Versicherungen, Immobiliengesellschaften, Wohnbaugenossenschaften oder dem Staat. Bei mehr als der Hälfte der Mietobjekte findet die Gesetzesänderung deshalb keine Anwendung, ist doch das geltend machen von Eigenbedarf, für institutionelle Eigentümer nicht anwendbar. Es sei denn, „aktuell“ und „bedeutend“ werden zukünftig dahingehend interpretiert, dass zum Beispiel auch Immobilienverwaltungen für Mitarbeiter und Geldgeber Eigenbedarf geltend machen können.
Kündigt ein Mieter ausser terminlich seine Wohnung, ist er verpflichtet, für mindestens einen Ersatzmieter zu sorgen. Nach dem Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten sind dem Vermieter gleiche Bedingungen aufzuerlegen. Will dieser die Wohnung anderweitig nutzen und liegen keine zu beweisende schwerwiegende Gründe vor, hat dieser eine gleichwertige Ersatzwohnung vorzuschlagen. Eine absolut vertretbare Auflage, haben doch Immobilienbesitzer im Immobilienmarkt weitreichende Kenntnisse und Beziehungsnetze. Das menschliche Leid, einen lieb gewordenen Wohnort verlassen zu müssen, würde vermindert und das Grundrecht auf Wohnraum wäre gewährleistet.